Singen - Lehren       Singing - Teaching

Liebe Frau Lang,

meine neue Professorin unterrichtet das „Bauch-Drücken“. D.h. ich soll den Bauch einziehen, um die Luft beim Singen heraus zu drücken und damit die Stimme lauter werden lassen. Anfangs funktionierte das gut. Jetzt nach gut einem Jahr werde ich immer fester und die Stimme klingt nicht mehr so frei wie vorher.

Könnten Sie mir bitte erklären, was Sie aus den beiden Videos (vor und nach dem Lehrerwechsel) herauslesen können. Vielleicht habe ich ja auch nur etwas nicht richtig verstanden.

Ich weiß, dass diese Frage nicht leicht zu beantworten ist. Hätten Sie einen Tipp für mich?

 Vielen Dank!

 Sabine*

 

Liebe Sabine,

danke für Ihre Anfrage und das in mich gesetzte Vertrauen. Sie haben recht: es ist immer schwierig, eine Einschätzung oder gar eine Bewertung ohne gewissenhafte Live-Anamnese zu geben. Dennoch möchte ich Ihnen meinen Eindruck wiedergeben.

Es sind klangliche Unterschiede zwischen beiden Aufnahmen hörbar. Die Stimme scheint bei der späteren Aufnahme weniger frei zu sein, die Höhe wird schwerer erreicht und die Töne sind vor allem im Übergang meist zu tief intoniert, das Vibrato ist größer geworden und es ist eine deutliche Luftbeimischung im Klang zu hören. Die Frage ist, in wieweit spielen z.B. die Faktoren Aufnahmetechnik, Übertragung oder Tagesverfassung eine Rolle. Ich möchte diese hörbaren Ergebnisse einmal vernachlässigen und schauen, was ich aus den in den Videos sichtbaren Veränderungen herauslesen kann.

Bei der Einatmung sind im späteren Video deutliche Bewegungen der Bauchdecke nach außen zu sehen, die sich beim Singen nach innen kehren. Sie nehmen sichtbar sehr viel Luft auf. Parallel dazu kommt eine Veränderung der Kehlkopfhöhe: beim Einatmen senkt sich der Kehlkopf sichtbar, um beim Einsatz zum Singen wieder zu steigen. Die Bauchdecke ist während des Singevorgangs sehr aktiv und schiebt sich immer weiter nach innen oder gibt vereinzelte Impulse, was jedes Mal eine kleine Bewegung des Kehlkopfes mit sich zieht. Zudem sind deutlich Anspannungen im vorderen/seitlichen Halsbereich und im Unterkiefer sichtbar, die ebenfalls Verspannungen im Lippen- und Stirnbereich mit sich ziehen und dem Gesicht einen angestrengten Ausdruck verleihen. Hörbar sind dann Luftbeimischungen im gesungenen Klang, der, um Ihre Worte zu wählen, die Stimme nicht frei klingen lässt.

Mein Einschätzung ist folgende:

Es gilt zwei Dinge voneinander zu trennen: Stütze, Appoggio oder Verankerung und Atem.

Hauptpunkt scheint für mich, dass Sie sich klarmachen, dass bei jedweder Anstrengung im Körper die Taschenfalten ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Schutz der Atemwege, nachkommen. Es gilt für uns Sänger, diese Funktion des autonomen Nervensystems zu überwinden, indem wir lernen, die Taschenfalten weit/offen zu halten. Dies kann durch z.B. den Trigger „Lachen-inneres Lachen“ geschehen. Es gibt viele Sänger, die so auch mit aktiver Bauchbeteiligung erfolgreich singen können. Sie lachen dann zumindest innerlich und halten so die Luftwege frei und ermöglichen den Stimmlippen ihre Arbeit zu tun: frei und an die jeweilig erforderliche Tonhöhe angepasst zu schwingen. Die Larynxhöhe sollte dabei meiner Meinung nach ebenfalls angepasst sein. Absenken beim Einatmen und wieder eine höhere Position einzunehmen für den zu singenden Ton scheint mir zu viel Aufwand.

Durch den hohen Luftdruck und die Verengung im Kehlkopf hört man eben diese Reibegeräusche und das Zuviel an Luft verstärkt. Die Intonation wird beeinträchtigt und das Vibrato wird größer. Der erhöhte Druck macht die Reaktion der Stimmlippen unflexibel und erschwert es, die Stimme „schlank“ in die Höhe zu führen.

Viele Profi-Sänger haben sich im Laufe ihrer Karriere eingehend mit dem Atem und Stütze/Appoggio/Verankerung auseinander gesetzt/auseinander setzen müssen und so ihre Balance gefunden. Diese Arbeit kann kein Außenstehender abnehmen.

Atem ist ein sehr komplexes Thema und nicht in zwei Sätzen erklärbar. Wenn Sie sich die Grundlagen betrachten, bedeutet Einatmung, dass sich das Zwerchfell bedingt durch Unterdruck in der Lunge bei gleichzeitigem Abspannen der Bauchdecke aktiv absenkt/kontrahiert. Überdruck bringt den Ausatemprozess unter passivem Abspannen des Zwerchfells in Gang. Diesen autonomen Atemvorgang, über den wir im Alltag kaum nachdenken, gilt es für uns Sänger an die Erfordernisse des Singens anzupassen. Eine gute Balance findet man zum einen durch Anpassen der Luftmenge an die Länge der Phrase, an Tonhöhe oder Register und an Charakter des zu singenden Repertoires. Bei diesem Anpassen und Ausgleichen und dem „Unterstützen“ oder Verankern von Stimme und Klang spielt nun die (Kopf-Nacken-Atem-Atemhilfs-) Muskulatur eine gewisse Rolle. Es ist wichtig zu verstehen, dass man die Stimme nicht -ohne Nebenwirkung- lauter bekommt, indem man mehr Luft stärker „pusht“. Es geht beim Singen um Tragfähigkeit. Diese erreicht man durch optimale Ausnutzung des eigenen Körpers und durch angepasstes Atemmanagement.

Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mit meiner Professorin darüber sprechen, was ihre Art der Herangehensweise mit mir macht. Vielleicht liegen hier ja Verständnisschwierigkeiten vor. Ich finde, dass es besser ist, Dinge zu benennen und dann gemeinsam einen Weg zu suchen.

Fragen, Probleme und Ansätze zu deren Lösung können mir helfen, Dinge besser zu verstehen und bringen mich in meiner Entwicklung voran. Jeder Sänger kommt immer wieder einmal an einen Punkt, wo er Vorgänge überdenken sollte und die Richtung seines Weges eventuell verändern muss. Das ist völlig normal. Und Gewohnheiten, ob nun liebgewonnen oder auch nur aus Not angenommen, kann man verändern.

Ich hoffe, Ihnen einen Ansatzpunkt gegeben zu haben, der Ihnen in Ihrer sängerischen Entwicklung weiterhilft.

Herzlichst

Ihre

Petra Lang

  


*Name geändert