Singen - Lehren       Singing - Teaching


Was sollten Gesangstudent*Innen im Studium lernen?
Wann sollen Gesangsstudent*Innen zum Vorsingen gehen?
Wie schätzen Sie die Teilnahme an Gesangswettbewerben ein?


Diese und ähnliche Fragen erreichen mich immer wieder. Eine Karriere als Sänger*In ist immer individuell zu betrachten und es gibt unzählige „Erfolgstories“. Ich schließe mich jedoch meiner langjährigen Lehrerin, der norwegischen Sängerin Ingrid Bjoner an, die sagte, dass sich der „Erfolg“ eines Gesangsstudiums eigentlich erst am Ende einer Gesangskarriere bestimmen lässt. Sie betonte immer wieder, dass es darum gehe, möglichst Stimm-Gesund „hinten“ anzukommen. Für mich kommt hier noch die mentale Unversehrtheit hinzu, ohne die sich dieses „Hinten-Gesund-Ankommen“ schwerlich realisieren lässt. Es gab und gibt verschiedene Levels, die sich auch auf die pekuniären Verhältnisse auswirken. Zu Beginn einer Berufslaufbahn lässt sich oft nicht voraussagen, „wohin“ die Gesangs-Karriere gehen wird. 
Voraussetzungen sind für mich erst einmal das Instrument, d.h. eine  gesunde, tragfähige Stimme mit (schönem) Timbre und der Mensch, der präsent ist und Freude an der eigenen Verwandlung hat und so in der Lage ist, viele Farben mit Stimme und Persönlichkeit zu erzeugen und „etwas“ im Sinne der Komposition und /oder der Inszenierung zu transportieren. 
Studieren, Üben und die stetige Verbesserung der eigenen Leistung  als unabdingbar für die sängerische Entwicklung zu akzeptieren ist für mich eine weitere Grundlage. So können beispielsweise Achtsamkeit, Konzentrationsfähigkeit, Fleiß, Fantasie, Disziplin, Zielstrebigkeit und Demut sehr nützliche Hilfsmittel zum Erfolg sein. Wenn man vom Sänger-Beruf träumt sollte man wissen, dass es keine Sicherheit geben wird. Man benötigt eine stabile Gesundheit und auch eine große Portion Glück. Sänger*Innen sind immer davon abhängig engagiert zu werden. Dies wird für Solist*Innen für die gesamte Berufslaufbahn gelten. Im Chorbereich kann es z.B. bei den hohen Frauenstimmen vorkommen, dass ein Wechsel vom Sopran I zu Sopran II nötig sein könnte. Das innere Feuer sollte sehr stark sein, dass es die nächsten 30 Jahre brennt und den Motor der Sänger*Innen antreibt. Auch sollte immer bedacht werden, dass es für einige Stimm-Fächer eine natürliche Altersgrenze vor dem gesetzlichen Rentenalter gibt, und dass es gut sein kann, sich schon früh um alternative Berufswege zu bemühen.
Das Studium sollte die jungen Sänger*Innen befähigen, bestens auf den Beruf vorbereitet zu sein. Neben Theorie, Klavierspiel, Körperschulungsangeboten, schauspielerischer Basisarbeit und Improvisation erachte ich vor allen Dingen Fremdsprachen für sehr wichtig. An die individuelle Entwicklung angepasste interne Klassenstunden und hochschulinterne Übungsabende sollten zu Gesangsstunden, Korrepetition und Liedklasse hinzukommen. So können sich Gesangsstudent*Innen in einem geschützten Raum entwickeln und im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten gesangliche und interpretatorische Sicherheit gewinnen. Dies wird ihnen die Chance geben, ihre Fortschritte zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Ziele anzupassen oder zu verändern.
Das Studium sollte meiner Meinung nach möglichst breit angelegt sein, um den jungen Gesangsstudierenden eine echte Möglichkeit zu geben, „ihren“ Weg zu finden.
Die Frage, wann man sich als Gesangsstudent*In der Öffentlichkeit vorstellen sollte, lässt sich sicher nur individuell betrachten. Meiner Erfahrung nach sollten die jungen Sänger*Innen soweit ausgebildet sein, dass sie ein „Produkt“ vorstellen, dass sich im professionellen Rahmen bewegt. Das bedeutet, dass eine Chance bestehen sollte, dass ein Engagement „ersungen“ und  auch angenommen werden kann. 

 

Wettbewerbe sind eine gute Möglichkeit zu erfahren, wie die Konkurrenz-Situation ist - und man kann ja mit kleineren, lokalen Wettbewerben beginnen. Reguläre und informative Vorsingen z.B. bei der ZAV – Künstlervermittlung mit sich anschließender Beratung  können hilfreich bei einer Einschätzung der Aussichten im Sängerberuf sein.

Wichtig scheint mir, dass die jungen Sänger*Innen gut auf den Sängerberuf vorbereitet sind. Es gilt, die vertraglichen Anforderungen auch erfüllen zu können. Deshalb ist die Antwort auf die Frage wichtig, ob eine gesamte Partie in mehreren Vorstellungen auch gesungen werden kann.

Dazu sollte man im Studium einige der wichtigsten Partien komplett studiert haben. Das Beherrschen einer Vorsing-Arie sagt wenig darüber aus, ob ein Anfangsengagement möglich ist. Oft finden sich die wirklich schwierigen Passagen nicht in diesen Arien; Probleme können Reihenfolge von Ensembles und Arien, Orchestrierung oder die Länge  der Partie bereiten. Zu bedenken ist auch immer die Anzahl, Größe der Partien und ihre terminliche Planung innerhalb einer Spielzeit.  Stamina baut sich mit dem (richtigen) Singen auf.
Meine erste Lehrerin gab mir den Rat, mein eigenes Gefühl zu entwickeln für das, was ich leisten kann. So habe ich immer komplette Werke studiert und konnte im Laufe der Zeit gut für mich entscheiden, ob und was ich wann, wo singen kann. Die große Wagner-Heroine Astrid Varnay verwies immer darauf, dass man als Sänger*In intensiv studiert und sehr gut vorbereitet sein muss, doch dass die Überprüfung, ob die Vorbereitung stand hält nur auf der Bühne stattfinden kann, und dass man sich auf diesen Hochseilakt ohne Sicherheitsnetz nur einlassen sollte, wenn man für sich spürt, dass die Zeit reif ist.