Mein Professor lässt in der Mittellage dick singen und ab dem Passaggio im Falsett
...... Mein Professor (Bariton) lässt in der Mittellage dick singen und ab dem Passaggio im Falsett. Könnten Sie mir vielleicht erklären, was auf der stimmlichen Seite passiert? Er sagt ausserdem, dass er gut gleichermaßen Männer und Frauen unterrichten könne, weil er ja weiß, wie Frauen singen, da er ja schon einmal einen Stimmbruch gehabt hatte. Wie sehen Sie das?
Herzlichen Dank!
M.D.*
Sehr geehrte Frau D.,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf die durch die Schildknorpelbewegung mögliche kontinuierliche Veränderung der Stimmlippendicke beim Wechsel von „Vollstimme“ zu „Kopfstimme“ eingehen. Es spielen noch andere Parameter (z.B. Verankerung/Appoggio, Atemmanagement, Larynxhöhe, Velumhöhe, Zungen-Position und -Beweglichkeit …) ein Rolle.
Die Stimmlippen sind sehr flexibel. Sie können sich, je nach Bedarf, d.h. je nach der zu singenden Tonhöhe optimal in der Länge anpassen. Entscheidend ist hierbei die Dicke der Stimmlippen. Je länger, desto dünner werden sie und umso leichter können sie zum Herstellen von höheren Tonhöhen schnellere Schwingungen ausführen. Diese Veränderungen von dick zu dünn und umgekehrt sind kontinuierlich möglich. Die Kontraktion des Cricothyroid-Muskels (CT) führt zum Kippen des Schildknorpels und somit zur Verlängerung des Thyroarytenoid-Muskels (TA). D.h.: je größer die Schildknorpelkippung, umso leichter können Sänger*innen hohe Töne realisieren. Sie singen mit „schlanker“ Stimme – mit dünnen Stimmlippen. Eine eher vertikale Schildknorpelstellung macht das tiefere Register einfacher, da die Stimmlippen kürzer = dicker werden und ein größerer Stimmlippen-Kontakt möglich ist.
Vertikale Schildknorpelposition erzeugt einen Klang, der eher wie Sprechen klingt; eine gekippter Schildknorpel bringt einen Klang hervor, der mehr wie Singen klingt. Eine Schildknorpelkippung können Sänger*innen beispielsweise mit der Vorstellung des Weinens erzeugen.
Es gilt für alle Stimmgattungen, dass eine Kippung des Schildknorpels ab c1 (C4) stattfinden und nur in Ausnahmefällen die Vollstimme bis g1 (G4) geführt werden sollte. Dies gilt für Männer- wie für Frauenstimmen. Es führt dazu, dass Männerstimmen viel länger und höher mit Vollstimme, mit dicken Stimmlippen singen und so einen vollen Klang erzeugen können. Baritonsänger müssen lernen, wann und wie sie ihre Stimme schlanker führen können, ohne die Verbindung zum Körper (und somit ihren virilen Klang) zu verlieren. Dramatische Sopranistinnen und Mezzosopranistinnen benutzen das „Hochführen“ der Bruststimme bei Einzeltönen in der veristischen Literatur. Wendet man diese Strategie grundsätzlich auf Frauenstimmen an, kann dies leicht zu einer Registerdivergenz und zu Brüchen der Stimme führen. Frauenstimmen sollten ab c1 mit einer graduell angepassten Schildknorpelkippung geführt werden. So erreichen Frauenstimmen leicht hohe Tonhöhen.
Führt man nun eine Stimme mit Vollstimme in die Höhe, kommt es irgendwann zu einem Bruch, wenn man den Schildknorpel nicht kippt, d.h. die Muskelmasse angepasst reduziert und mit Randstimme singt. Die Körperverbindung wird dann aufgegeben; Verankerung/Stütze/Appoggio lassen nach. Die Aryknorpel „flippen“ und wechseln die Ebene, was zum Versteifen der Stimmlippenränder führt und vermehrt Luft durch die Stimmritze strömen lässt. Falsett entsteht. Ein klangvoller Zugriff in der hohen Lage ist nicht mehr möglich. Dies können tiefe Männerstimmen vielleicht je nach physischer Kraft noch eine Weile ausgleichen, Frauenstimmen verwehrt es eine volle, strahlende Höhe. Frauenstimmen erreichen einfach durch die Kippung des Schildknorpels mit dünnen, gut schwingenden Stimmlippen = Randstimme/Kopfstimme ihre hohe Lage.
Sie selbst gehen mit relativ hoher Muskelmasse und viel Druck in die Höhe. Das geht gut bis zum Passaggio. Danach flippen die Aryknorpel und sie erzeugen einen luftigen, flötenhaften Ton, der sich deutlich von der runden, vollen Mittellage abhebt. Mein Vorschlag wäre, Ihre Stimme schlanker zu führen und in der Höhe mit Randstimme/Kopfstimme, d.h. mit schwingenden Stimmlippen zu singen. Dies erfordert einen höheren Verankerungs-/Stütz-/Appoggio-Aufwand, ermöglicht Ihnen mehr Klangfarben, eine tragfähige Höhe, Intonationssicherheit, geringere Ermüdungs- und Stimmstörungsneigung und lässt weitere Entwicklungsmöglichkeiten der Stimme überhaupt erst zu.
Was die Aussage zum Stimmbruch Ihres Professors betrifft, möchte ich hier nicht mutmaßen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Bariton mit falsettierter Höhe stabil und jahrelang einen für die Oper nötigen Klang, der leicht über ein Orchester trägt, ermüdungsfrei herstellen kann.
Herzlichst
Ihre
Petra Lang
*Name geändert