Singen - Lehren       Singing - Teaching

Nasalität


Sehr geehrte Frau Lang,

ich bin lyrischer Tenor. Bei Agentur-Vorsingen bekam ich das Feedback, dass ich sehr nasal singe. Mein Professor (ehemaliger Bariton) sagt, dass bei Tenören immer ein Nasenanteil mit dabei sein muss. Könnten Sie mir bitte erklären, was es mit der Nasalität auf sich hat.
Vielen Dank!
H.D.*



Sehr geehrter Herr D.,


es gibt einige Gesangslehrer, die nasal singen lassen. Ich kenne ebenfalls Kollegen, und nicht nur im Tenorfach, die z.B. für das Passaggio einige Töne kurz nasal beginnen und dann wieder oral singen. Dieses Vorgehen nimmt den Druck aus dem Gesangsapparat.

Gerne möchte ich die Begriffe klären:
Pathologische Bezeichnungen wie offenes, geschlossenes oder gemischtes Näseln möchte ich hier nicht berücksichtigen, da es bei Ihrer Frage ja ganz klar um ein bewusstes sängerisches Klangmanagement geht.

Nasal bedeutet, dass der Klang durch die Nase geht. Bei oralem Singen strömt der Klang durch den Mund. Dies ist leicht durch manuellen Verschluss der Nase mit den Händen nachprüfbar.
• Sprechen oder singen Sie n, m oder ng und halten Sie die Nase zu. Der Klang wird verstummen. Sie singen/sprechen nasal.
• Sprechen oder singen Sie /gii/, /ba/, /ku/ und halten Sie die Nase zu. Der Klang sollte weiter tönen, da diese Silben oral gebildet werden.
Die Weichenstellung erfolgt durch das Velum. Es funktioniert gewissermaßen wie eine Tür, die den Zugang vom Rachen- zum Nasenraum öffnet oder verschließt. Bei den französischen Nasalen (d.h. Vokale in Kombination mit z.B. einem /n/) ist er mehr oder weniger geöffnet. („Un bon vin blanc.“)
Die mit Flimmerhärchen ausgestatteten engen Nasengänge wirken wie ein Dämpfer. Der Klang wird leiser. So kann der Sänger das Absenken des weichen Gaumens nutzen, um ein Decrescendo herzustellen. Am einfachsten geht das mit einem /ng/ am Schluss des Decrescendos. Umgekehrt kann man ein Crescendo durch Heben des weichen Gaumens erreichen. Dies ist eine Möglichkeit, ein Messa di Voce herzustellen.

Die Funktion des Velopharyngealen Schließmuskels, der mit weichem Gaumen und Zäpfchen den Durchgang zur hinteren Rachenwand beim Schluckvorgang verschließt, ist eine Schutzfunktion des autonomen Nervensystems, um zu verhindern, dass Nahrung oder  Flüssigkeiten in die Nase gelangen. Beim Schluckvorgang wird der Zugang zur Lunge ebenfalls verschlossen, damit keine Nahrung oder Flüssigkeiten die lebenswichtige Atmung stören können. Der Kehldeckel senkt sich ab, die Taschenfalten verengen und die Stimmlippen verschließen sich fest. Ein Vierfach-Verschluss zum Schutz der Atemwege: weicher Gaumen , Kehldeckel, Taschenfalten und Stimmlippen.
Diesen Schutzreflex gilt es beim Singen zu „überwinden“ und zu lernen, dass keinerlei Gefahr durch eventuell eindringende Gegenstände besteht. Das autonome Nervensystem muss erkennen, dass vom Singen keinerlei Gefahr ausgeht und dass das Velum den Nasenrachenraum verschließt, um den persönlichen, individuellen Klang herstellen zu können. Zusätzlich gilt es, die Taschenfalten weit zu halten, damit die Stimmlippen optimal schwingen können, den Aryepiglottischen Raum angepasst zu verengen, um die für das klassische Singen nötige Tragfähigkeit durch Squillo  zu ermöglichen und die Kehlkopfhöhe, je nach Tonhöhe und gewünschtem dunkleren Klang anzupassen. Hierzu ist schon deshalb ein Aufwand nötig, um Reflexe des autonomen Nervensystems zu überwinden.
Noch einmal: mit dem Absenken des Velums ist die Weitstellung der Taschenfalten verbunden, d.h. der Druck wird aus dem Singeapparat genommen. Dies kann zum Üben oder in Stress-Situationen absolut sinnvoll sein, wenn es gilt, Stimmlippen und Stimmproduktion zu schützen. D.h. man übt eine Phrase z.B. auf /ng/ um sich einen hohen Sitz zu merken und versucht, die Phrase dann mit diesem „hohen Sitz“ mit  gehobenem Velum zu singen. Dies wird einen individuellen, tragfähigen Stimmklang ermöglichen.

Bass-Sänger schützen sich häufig mit einer Nasalität. Durch das lange Ansatzrohr ist die Larynx-Position schon relativ tief. Wird nun noch die Zunge zum Absenken des Kehlkopfes benutzt, wird durch die muskuläre Verbindung von Zunge und weichem Gaumen das Velum leicht abgesenkt, was einen Klangverlust durch die Nase provoziert. Hier gilt es, die den Gaumen hebenden Muskeln zu trainieren, um den Velopharnygealen Schließmuskel zu aktivieren.  Diese Dehnung von Muskeln ist mit einigem Aufwand verbunden und wird deshalb oft vermieden: mit den erwähnten klanglichen Ergebnissen und Einbußen an Tragfähigkeit.

Zusammengefasst bedeutet dies: Ein nasaler Klang ist ein gedämpfter Klang,  der den Sänger der Tragfähigkeit beraubt. Ein Training des Velums ist für Sänger wichtig zum bewussten Umgang. Meine alte Lehrerin Ingrid Bjoner zitierte ihren Lehrer Paul Lohmann, der sagte, „dass man mit der Nase aber nicht in der Nase“ singen solle.

Herzlichst
Ihre

Petra Lang

* Name geändert